1200 Griffe für die Schlaggitarre

Imposant, oder? Eintausendzweihundert klingt nach ziemlich viel. Nicht, dass ich die hier präsentieren wollte, nein, das ist der Titel eines Heftchens, das ich beim damaligen Musikalienhändler meines Vertrauens in der tiefsten bayrischen Provinz Anfang der 80er Jahre gesehen hatte. Gekauft hab ich es nicht, denn auch als 15-jährigem Gitarrennovizen war mir klar, dass kein Mensch soviele Akkorde braucht, schon garnicht als Rockstar in spe. Da sollten drei bis vier Stück locker reichen. Beeindruckend fand ich den Titel aber allemal. Und ebenso war mir bereits in meinen Anfangstagen klar, dass die vorhin eher ironisch aufzufassenden drei bis vier Akkorde nicht ganz ausreichen, würde ich die Gitarre ernst nehmen.

Wie um alles in der Welt sollte ich einer solchen Akkordflut Herr werden, die da auf mich als zukünftigen Guitarhero wartet? In Ermangelung besseren Wissens habe ich fortan über Jahre hinweg die Akkorde, die mir halt so begegneten, zusammenhangslos auswändig gelernt. Kann man so machen, muß man aber nicht – weil hochgradig ineffektiv. Was mir fehlte, war ein System. Eine gedankliche Ausgangsbasis, ein Grundstock, von dem aus es sich bequem denken läßt, von dem aus ich selbst an Akkorden weiterschrauben kann und der solche Pamphlete mit plakativen Titeln überflüssig macht.

So ein System gibt es tatsächlich. Und jetzt aufgepasst, ihr Sechssaiter da draußen: Es sind unsere allseits beliebten und bekannten Cowboy-Akkorde. Namentlich sind das C, A, G, E und D. Das ist alles. Fast alles. Hinzu kommt noch etwas Griffbrettübersicht, etwas Wissen über das „Innenleben“ von Akkorden und schon kann die einzigartige Forschungsreise ins Land der Akkorde beginnen. Mit diesen recht leicht erlernbaren Werkzeugen ist diesen komischen Akkordbibeln jegliche Existenzberechtigung dauerhaft genommen. Ich spreche mich keinesfalls kategorisch gegen das Auswändiglernen von Griffbildern aus, habe aber deutliche Einwände, einfach Hunderte, gar Tausende von Akkorden ohne jeglichen Kontext in Buchform zu pressen und zu verkaufen!

Für jede Stilistik existieren Akkordklischees, die sich der ambitionierte Gitarrist von heute beizeiten aneignen sollte. Nur das WIE ist entscheidend! Und das darf ruhig ganz hemdsärmelig im Trial-and-error-Verfahren angegangen werden. Bestimmt jeder hat mit den genannten Cowboy-Akkorden schon experimentiert, in dem er einen Finger mehr hinzugenommen oder einen Finger weggelassen hat. Es resultieren neue Akkorde daraus, die dem Ursprungsakkord aber noch ähnlich sind. Beispiel gefällig?

Wenn ich bei diesem Akkord

C-Dur

C-Dur

lediglich einen Finger weglasse, wird ein neuer Akkord daraus, dessen Ausgangsbasis immer noch C-Dur ist, der aber jetzt Cmaj7 heißt:

Cmaj7

Cmaj7

Genauso kann ich einfach einen weiteren Finger hinzustellen, der resultierende Akkord heißt jetzt C7:

C7

C7

Oder vom Ausgangsakkord aus betrachtet einen Finger anders positionieren und schon wird ein Cadd9 draus:

Cadd9

Cadd9

Mal sehen, was noch geht … wie wär’s mit einem C7#9? Bis zum C7 ist der Weg nicht weit, siehe oben. Aber was ist nochmal die #9 von C? Die 9 ist in diesem Fall das D, konsequenterweise muß die #9 das D# sein. Greift sich so:

C7#9

C7#9

Ich denke, auch hier ist die Herkunft vom Normalo-C-Dur schön ersichtlich.

Das alles ist noch recht rudimentär, einen Grammy gibt’s dafür noch nicht, aber es zeigt einen Weg auf – einen der deutlich fruchtbarer und nachhaltiger ist, als hunderte von Griffdiagrammen aus Büchern auswändig zu lernen (hat das jemals irgendwer gemacht?). Hier gilt der alte lernpsychologische Grundsatz: Was ich mir selbst „erdacht“ habe, bleibt deutlich besser in den grauen Zellen haften, als dumpfes Hineinprügeln von Lernstoff respektive Akkorden ins Gehirn.
Während ich so vor mich hintexte, dämmert mir, dass dieses Thema deutlich umfangreicher ausfallen wird, als ursprünglich angedacht. Darum will ich es als Appetizer für heute dabei belassen, in der Hoffnung, einen kleinen Denk- und Motivationsanstoß in Sachen Akkorde gegeben zu haben. In Bälde mehr davon. Bleiben Sie dran bis nach der Werbung!

 

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