Aber echt. Lang lebe das Dogma! Sag mal, sind wir Gitarristen echt so dermaßen knallhart konservativ, so rückwärtsgewandt? Ich wünschte, es wäre nicht so, aber meine Vermutung wird leider überdurchschnittlich häufig bestätigt. Gerade neulich wieder, klassisches Szenario – Zeit: Samstag mittag, Ort: Gitarrenladen, Ich: mittendrin. Fachsimpeln, rumchecken, wichtigmachen, ins Gespräch kommen. Die Themen immer wieder die gleichen: wer wie gut ist oder auch nicht und warum man nur mit diesem einen Equipment so klingen kann, wie es sich gehört. Klingt stark nach Gras wachsen hören und vor allem nach unentspannt. Die Mythen und Dogmen scheinen endlos, vielleicht sollte sich der eine oder andere Sechssaiten-Dogmatiker der katholischen Kirche anschließen, die Jungs sind für sowas aufgeschlossen, glaub‘ ich.
Nein, ganz im Ernst: warum müssen es immer und immer wieder diese betonierten, unverrückbaren Aussagen sein? Nur mit mindestens 10er Saiten kannst Du gut klingen, besser gleich einen 13er Satz. Sonst wird das nix mit dem Blues … Und ich mit meiner 9er Sissi-Besaitung mittendrin. Na super! Der ist auch gut: Waaaas? Amp-Modeling? Kannst vergessen! Du brauchst einen gscheiten Röhrenamp. Endstufen-Zerre weißt schon … und Mastervolume ist übrigens für Mädchen. Und immer wieder gern genommen, hab ich zum ersten Mal vor über zwanzig Jahren gehört, als ich ganz ehrfürchtig vor einem Regal voller PRS-Nobelklampfen stand und kurz davor war, eine zu kaufen: „Die klingen einfach zu steril …“. So, so. Steril. Was soll das sein im Gitarrenkontext? Über ich weiß nicht wieviele Forenbeiträge hinweg konnte ich zu dieser Fragestellung in den letzten Jahren keine Klärung erfahren.
Auch in schöner Regelmäßigkeit zu beobachten, wie sich eingesetztes Geld und spielerisches Vermögen bzw. Coolness reziprok verhalten. US-Edelklampfen an einem Point-to-point-verdrahteten Luxus-Amp für sich allein machen noch keinen guten Sound. Da muß man sich halt auch a bisserl mit Tonbildung, Noise, Phrasierung und solchen Sachen beschäftigt haben, gell? Glücklicherweise gibt es auch Gegenbeispiele. Vor einigen Jahren in einem Münchner Live-Club, dichtes Gedränge, kaum Blick zur Bühne möglich, mir fällt nur auf, dass der Sound des Gitarristen ausnehmend gut ist. Er hat irgendwas Stratiges in der Hand. Aber der Amp? In einer Pause spreche ich ihn an. Was soll ich sagen, eine No-Name Strat und ein Behringer V-Amp, dieser chinesische POD-Klone, direkt in einen Crate-Combo. Also alles andere als High-End-Equipment, aber das Ergebnis … ja, das war sehr gut!
Diese Litanei ließe sich noch beliebig forführen. Was ich sagen will: Es täte dem einen oder anderen gut, ein wenig entspannter an die Dinge ranzugehen, andere in ihrer Equipmentwahl so sein zu lassen, oder zumindest die latente Klugscheißerei und die ungebetenen Ratschläge einzustellen und stattdessen vielleicht einfach über die eigenen Erfahrungen zu berichten. Und schon kann das Gegenüber sich seine eigenen Gedanken machen, eine Einsortierung vornehmen, statt sich schulmeisterisch belehrt vorzukommen. Und diese angeblich steril klingende Luxusklampfe, siehe weiter oben, Paul Lese-Schmidt oder so ähnlich (Achtung, ein Gitarristen-Insider!), hab ich damals zwar nicht gekauft, aber sie klang richtig klasse! Ich glaube, der Verkäufer hatte einfach keinen Plan …