Auf dem Weg nach oben

Zu meiner Zeit, und damit meine ich Anfang der 80er Jahre, gab es nur verdammt wenig Möglichkeiten, wenn man in der Provinz Rockgitarre lernen wollte: Plattenspieler, Cassettenrekorder oder der örtliche Gitarrenlehrer waren die angesagten Medien. Letzterer war natürlich von der ganz alten Schule, verdammte alle Rockgitarristen, weil die „eh nix können“ und hielt Fingerpicking für die Königsdisziplin der Gitarre. Wie dem auch sei, heutzutage hat sich das Informationsangebot nahezu unüberschaubar ausgeweitet, jeder der auch nur annähernd „Gitarre“ buchstabieren oder eine solche unfallfrei halten kann, lädt Lehrvideos – oder das, was er dafür hält – ins Netz hoch. Qualität sieht anders aus. Das Netz bringt aber auch löbliche Ausnahmen hervor. Das Unterrichtsportal www.meinemusikschule.net ist eine solche. Ich hatte die Möglichkeit, die Gitarrensektion dieser Seite ausgiebig zu testen und unter die Lupe zu nehmen.

Der erste Monat ist mit gerade mal EUR 4,90 einfach unschlagbar im Preis, selbst die ab dem zweiten Monat fälligen EUR 27,- sind sehr moderat im Hinblick auf das Gebotene. Da bei Online-Unterricht der Lehrer in natura entfällt, ist die didaktische Aufarbeitung des Materials in den einzelnen Unterrichtseinheiten umso wichtiger. Die Vermittlung findet ja nur in eine Richtung statt. Andreas Vockrodt löst diese Aufgabe souverän. Der langjährige Profimusiker, Gitarrenlehrer und Initiator des „Gitarrenweltrekord“ vermittelt die Lerninhalte kurzweilig, sympathisch und in einer sehr klaren Sprache. Damit kommt jeder E-Gitarren-Anfänger zurecht. Garantiert. Und es beginnt wirklich bei Adam und Eva, gitarristisch gesehen. Wie ist eine E-Gitarre aufgebaut, wie heißen die einzelnen Teile, was bewirken sie. Weiter geht’s mit der „Apfelübung“, um eine Gefühl für die Haltung der linken Hand zu bekommen. Eine gute Mischung der Themen sorgt für allerlei musikalische Kurzweil: Akkorde, einfache Melodien, Tipps zum Üben und einfache theoretische Erklärungen sorgen für flottes Vorankommen. Aber Achtung: der Kurs ist ganz klar für E-Gitarre konzipiert – wer Lagerfeuergitarre und Picking sucht, ist hier fehl am Platz!

Der komplette Kurs ist auf zwölf Monate hin angelegt, dürfte allerdings in der Praxis doch eine Ecke länger dauern, denn von den wirklichen Basics abgesehen, ist thematisch alles geboten, was moderne Rockgitarre und somit schon das fortgeschrittene Lager ausmacht: Solieren mit Pentatonik im Blues und über einfache Akkordfolgen, Rhythmuspyramide, Shuffle bzw. triolische Rhythmen, rhythmische Verschiebungen, Diatonik, Dreiklänge und deren Umkehrungen, vierstimmige Akkorde, Bending, Hammer on, Pull off, Legato, Staccato, Muting und noch ein paar schöne Themen mehr, die für Gitarrenaufsteiger relevant sind.

Die Noten und Tabulaturen, die unter dem Bildschirm angezeigt werden, stehen entweder als pdf- oder guitar pro-Datei zum Download zur Verfügung. Die Notationssoftware guitar pro, mittlerweile der Standard im Gitarrensektor, schlägt mit EUR 60,-  zu Buche, daher wird an gleicher Stelle auch noch auf die kostenlose Alternive Tux Guitar verwiesen. Sehr löblich! Die Bildschirmaufteilung und die Menüs sind sehr gut gelungen und intuitiv zu handhaben. Selbsterklärend und auf Anhieb alles auffindbar, so muß das sein! Im Vollbildmodus hat man, eine entsprechende Bilschirmgröße vorausgesetzt, fast den Eindruck, als säße man wirklich einem Lehrer gegenüber. Das ist gerade bei  fortgeschrittenen Techniken der Rockgitarre, wie etwa Tapping und Sweeping oder erklärungsintensiven musiktheoretischen Inhalten von Vorteil.

Mein einziger Kritikpunkt bezieht sich nicht auf inhaltliche, sondern auf optische Belange: Die Webseite hätte man bestimmt optisch etwas spritziger gestalten können. Inhaltlich gibt’s nix zu mäkeln, alles sitzt, da wackelt nichts. Für den ambitionierten Autodidakten ist dieser Online-Kurs ein klasse Möglichkeit, sich für kleines Geld mit den großen Themen der Rockgitarre auseinanderzusetzen.

 

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