Die Übung, die keiner braucht

Egal, was mir in jungen Jahren in Gitarrenmagazinen, Büchern oder durch Lehrer an Tipps, Ratschlägen oder lebenswichtigen Übungen aufgetischt wurde, ich hab das für „in Stein gemeißtelt“ befunden und bin an dieser vermeintlichen Wahrheit geklebt ohne auch nur im Geringsten einen Widerspruch zu wagen oder mir selbst eine abweichende Meinung zu erlauben.

Ein paar Jahre später, der Wissendurst wurde immer noch größer, ich wollte gut werden, sehr gut sogar. Alles war recht, es mußte eine Intensivausbildung am Münchner Gitarren Institut sein. Aber: Je größer die Informationsflut wurde, desto mehr sank meine Bereitschaft, einfach alles ungefragt hinzunehmen. Ich mußte dringend selektieren, um nicht an musikalischem Data Overload einzugehen. In einem der besseren Lehrbücher, das ich damals verschlungen habe (auf Nachfrage verrate ich, welches das war 🙂 ) fand ich meine geheimste Vermutung bestätigt: Wenn ich schon meine Energie und vor allem meine Zeit ins Üben investiere, dann will ich mich mit Dingen beschäftigen die a) Spaß machen oder b) wohlklingend sind oder c) sich in die gitarristische Praxis bequem integrieren lassen – idealerweise sollten alle drei Attribute zutreffen.

Bei vielen Übungen war weder das eine, noch das andere der Fall. Noch schlimmer, sie klangen abgrundtief scheußlich. Spitzenreiter meiner persönlichen Greatest Shits in Sachen Gitarrenübungen sind solche unsäglichen chromatischen Fingerübungen wie diese hier:

Wer übt denn sowas?

Wer übt denn sowas?

Weder macht sie Spaß, noch klingt sie gut und in den musikalischen Alltag läßt sie sich auch nicht einbauen. Ja, ich weiß, diese Übungen und ähnliche stehen in fast allen fortgeschrittenen Lehrwerken zur Gitarre. Man muß sich da dringend durchwühlen, am besten täglich, weil sonst is‘ Essig mit der Unabhängigkeit der Finger, das ist ein tolle Aufwärmübung usw. usf.
Hey, Blattspiel zu üben reicht doch auch schon, da muß ich nicht solche akustische Umweltverschmutzung betreiben.
Wenn ich aber in Richtung Unabhängigkeit schiele, dann gibt es da deutlich bessere Alternativen. Sowas würde mir da einfallen:

Halton-Ganzton-Skala

Halbton-Ganzton-Skala

Eine ganz offensichtlich symmetrische Anordnung, ein geometrisches Muster, das aber auch einen musikalischen Sinn beinhaltet: es ist eine Halbton-Ganzton-Skala (Grundton eingekreist).
Damit alle drei der oben geforderten Attribute zutreffen, braucht’s noch eine kleine Ergänzung, nämlich ein Playback. Idealerweise mit dem Chord of the Week #7. Das ist genau die passende Tonleiter, um darüber zu solieren. Wer hätte das gedacht? Entsprechende Einhörzeit in alterierte Sounds vorausgesetzt, macht diese Fingerübung dann Spaß, sie klingt gut und läßt sich unmittelbar in der Praxis anwenden. Volltreffer!

Zum Thema Aufwärmen habe ich auch noch eine nette, äußerst wohlklingende Übung parat. Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag. Stay tuned & be loud!

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