„Nö, eigentlich nicht.“

Gerne auch genommen: „Mh, weiß nicht. Nichts Spezielles.“ Das Schuljahr hat kürzlich begonnen und vor mir sitzen wieder junge Menschen im Gitarrenunterricht. Die beiden zitierten Antworten kommen nahezu reflexartig auf Fragen, die ich bei neuen Schülern immer stelle: „Hast Du eine Lieblingsband?“ oder „Was hörst Du denn am liebsten?“

Es ist für mich schwer bis überhaupt nicht vorstellbar, dass Jugendliche von heute auf eine solche Frage keine Antwort haben. Hätte man mir als 13-jährigem diese Frage gestellt, wäre die Antwort ganz klar gewesen: „Spider Murphy Gang!“. Mit 15 hätte ich vermutlich mit „Van Halen“ geantwortet und zehn Jahre später, inmitten meiner arroganten „Jazzrock ist klasse, alle andern ham keine Ahnung“-Phase mit „Larry Carlton. Weißt Du, der hat nämlich DEN amtlichen Ton. Das geht nur mit ’nem Dumble, ist eh klar. Anders bekommst Du das nicht hin. Und wie der geschmeidig mit seinen Substitutionen durch die Changes fliegt. Was, Mättl? Nein, kannst Du vergessen, diese Langhaarigen, ham doch keinen Plan … Prollmusik … “

Ganz im Ernst: Wenn ich so zurückdenke, dieses lethargisch-ahnungslose „Weiß nicht …“ scheint in meiner Jugend nicht derart ausgeprägt und omnipräsent gewesen zu sein wie heute. Musikgeschmack, Vorlieben, Guitar Heroes oder die Zugehörigkeit zu einem stilistischen Lager waren weitaus konkreter als heute der Fall. Popper, Rocker, Punker oder lieber doch Jazz? Klassik hatten wir auch noch im Programm. War aber schon arg nerdy. Ich konnte nahezu jeden in der Klasse irgendeiner Lieblingsband oder einer Lieblingsmusik zuordnen. Da waren knüppelharte Iron Maiden-, Scorpions- und AC/DC-Fans oder das gemäßigtere Pop-Lager, die so Schoten wie Chris de Burgh, Bruce Springsteen oder Dire Straits auflegten. Egal wie die persönliche Präferenz auch ausfiel, gemeinsam war uns allen, wir konnten sie benennen und notfalls auf dem Pausenhof eifrig musikideologische Grabenkämpfe austragen: KISS oder AC/DC? Was für Debatten!

Wie kommt’s? Ich vermute, es liegt daran, dass wir seinerzeit ganz konkret auf Musik zugreifen mußten. Entweder ich habe von Kumpels „die Neue von …“ empfohlen bekommen oder habe im Radio einen Titel gehört, der mich angemacht hat. Damals wurden die Songtitel noch freundlicherweise am Ende vom Moderator durchgegeben! So war es ein Leichtes, loszuziehen und sich die ganze ElPe zu besorgen. Und noch wichtiger: das Angebot an Musik schien endlich. Ob Radio oder sogar ein gut sortierter, großer Plattenladen, ich konnte mich gut zurechtfinden in der Menge der angebotenen Musik. Wie läuft’s heute? spotify anwerfen und sich von Playlists berieseln lassen. Etwas überspitzt formuliert: Es steht alle Musik dieser Welt immer und überall zur Verfügung. Das ist einfach ungesund. Genauso wie jeden Tag Bier, jeden Tag Pizza, jeden Tag all you can eat verführerisch erscheint, auf lange Sicht aber nicht nur süchtig und fett macht, sondern einen abstumpfen läßt. Gleiches in der Musik: Ich kann auf alles immer Zugriff haben, ich brauche und vor allem kann selbst kaum mehr selektieren. So muß ich mich über Floskeln wie „Weiß nicht …“ längst nicht mehr wundern. Eindeutiges Überangebot! Möglicherweise aber liegen die zaghaften und unsicheren Antworten in der beginnenden Pubertät meiner Probanden begründet – da verhält man sich schon mal etwas schräg. So gesehen lasse ich alle Antworten durchgehen, nur die eine nicht. Die geht garnicht. Denn ihr wißt ja:

 

Eigentlich alles ist kein Musikgeschmack

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