Ich kann doch noch nicht mal Noten lesen

Ich weiß nicht, wie oft mir dieser Satz schon begegnet ist. Er fiel immer dann, wenn es um Anfragen für Gitarrenunterricht ging oder im Beisammensein mit Freunden das Gespräch aufs Musizieren kam. Da wird gerne mal behauptet, dass es mit dem Gitarre lernen nix mehr werden könne, weil …. ja, richtig: „Ich kann ja noch nicht mal Noten lesen.“ Als wäre das bereits Voraussetzung, um überhaupt ein Instrument erlernen zu können. All jene kann ich beruhigen und in ungläubiges Staunen versetzen, wenn ich ihnen glaubhaft versichere, dass Gitarre eine sehr visuelle Angelegenheit ist. In den Anfängen zumindest 😉 Und das mit den Noten darf gerne später hinzugenommen werden.

Warum sich dieser Mythos derart hartnäckig hält, ist mir ein Rätsel. Nur die Röhrenfetischisten sind noch hartnäckiger und uneinsichtiger: „Modeling klingt besch … eiden.“ Ja, ne, is‘ klar. Soviel Breitseite muß sein. Zurück zu den Nachrichten. Bei genauerem Hinschauen fällt auf, dass Anmerkungen dieser Art oftmals von Menschen jenseits der, sagen wir mal, Ü-30-Grenze kamen. Die jungen Wilden saugen sich ihre Tabs ohnehin aus dem Netz und den ganz Kleinen sind solche Anwandlungen noch völlig fern. Die „etwas Älteren“, zu denen ich mich auch zähle und von denen dieses Argument oft kommt, hatten wahrscheinlich damals im Musikunterricht das äußerst zweifelhafte Vergnügen, musiktheoretische Trockenschwimmübungen zu absolvieren. Wir haben Tonleitern, ja ganze Akkorde und deren Umkehrungen gemalt, ohne sie einmal zu gehört zu haben. Hauptsache, der Lehrplan wird eingehalten. Ähm, Herr Maier, sie waren damals Kultusminister? Ich weiß, wo sie wohnen …
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich da tat, geschweige denn, für was die Schmiererei in Notenheften mal gut sein sollte.

Weil es damals mit dem Notenlesen und -malen schon nicht so klappen wollte, werden später auch alle weiteren Pläne für’s Gitarrespielen gekappt. Schade. Zum einen, weil man zu Beginn prima allein mit ein paar Griffbildern über die Runden kommen kann und zum anderen, weil einem die Fähigkeit, Noten zu lesen und auch zu schreiben (!) ein ganzes Universum der Möglichkeiten eröffnet. Ich meine mit Notenlesen nicht, mehrstimmige Akkorde in Echtzeit runterzuspielen, sondern eher, musikalische Notizen und Skizzen erkennen und im Idealfall auch selbst schreiben zu können – gewissermaßen sein eigenes musikalisches Notizbuch zu sein.

Ich muß gestehen, dass ich Notenlesen erst mit sage und schreibe 23 Jahren gelernt habe! Bis dahin habe ich mich mit tiefem Respekt vor allen verneigt, die sowas können und war der Auffassung, man kommt mit dieser Gabe auf die Welt – oder auch nicht. Wie so oft: die Übung macht’s. Es gab Zeiten, da habe ich mich gefragt, ob mit mir noch alles stimmt – ich habe Blattspiel geübt wie ein Irrer. Mit dem Ergebnis, dass dieses ominöse, oft angstbesetzte Thema Notenlesen innerhalb eines Jahres gründlich abgehakt war. Vor allem sind Noten die Sprache der Musik. Wie schön, wenn Musiker in einer Band die gleiche Sprache sprechen … und wenn es nur darum geht, zu wissen, was „vorgezogen“ bedeutet oder wie es sich anfühlt, eine Note nicht auf der „Eins“, sondern bereits auf der „Vier und“ des vorangegangenen Taktes zu spielen.

Wer jetzt noch nicht überzeugt ist, sich mit Blattspiel und Notation auseinanderzusetzen, dem seien die fünf triftigsten Gründe genannt, es doch zu tun:

1. Ich kann meine Ideen aufschreiben. Spart Geld für den mp3-Rekorder.

2. Ich kann meine aufgeschriebenen Ideen auch lesen. Hoffentlich.

3. Ich kann die Ideen des Kollegen lesen. Wenn er denn eine schöne Handschrift hat.

4. Es kann mir egal sein, wenn ich wieder mal den mp3-Rekorder zuhause vergessen habe.

5. Es ist verdammt sexy, den Kollegen im Proberaum die Ideen schriftlich zu unterbreiten: „Ich hab mir da was ausgedacht. Das sieht folgendermaßen aus …“

Und wer immer noch zweifelt: Das ist wie Lesen und Schreiben, nur eben mit Noten! Auf Anfrage liefere ich gerne Literaturtipps.

 

Blattspiel

Man braucht ja nicht gleich übertreiben!

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