Der gestrige Tag klingt noch nach. Hab‘ einen Workshop zum Thema Rhythmusgitarre für Blues, Rock und Funk abgehalten. Weil ich glaube, dass Blues zu den absoluten Fundamentals für E-Gitarre gehört, hatte ich für diesen Bereich etwas mehr Zeit im Workshop vorgesehen. Der heutige Chord of the Week war allerdings nicht im Programm. Warum eigentlich nicht? Hey, knapp 50 Seiten pdf ist doch schon genügend Schotter, oder? Und ein paar Akkordtrümpfe brauch‘ ich schließlich auch noch für meine schmucke, kleine Kolumne hier …
Er ist der Superstar unter den Akkorden an der Schnittstelle zwischen Intellekt und Rock’n’Roll – Blueser, Jazzer und Rocker mögen ihn gleichermaßen. Er klingt nie abgedroschen oder simpel, immer sophisticated und doch noch kantig genug für Rebellion.
Das hat seinerzeit auch der Oberinnovator der E-Gitarre, James Marshall H. erkannt und ihn ausgiebig eingesetzt, ihn regelrecht als eines von mehreren Stilmitteln kultiviert. Langsam müßte es dämmern …
Die Rede ist vom Hendrix-Akkord, fachsprachlich auch als Dominant-Sieben-Kreuz-Neun betitelt. So sieht er aus:
Immer wenn ich einige Durchgänge Blues-Comping vor mich hinspiele, ertappe ich mich dabei, dass ich am Schluß der Form, wenn es auf die fünfte Stufe geht, in neun von zehn Fällen den Hendrix-Akkord auspacke. Warum? Ich weiß es nicht. Sture Gewohnheit der Finger? Bestimmt. Aber nicht nur. Es genügt für mich, ihn kurz in knackiger Funk-Manier mit Zerre im englischen Stil anzuspielen, schon ist mein Kopf voll mit Old School Classic Rock-Riffs. Woher rührt nun diese audio-sensitive Reiz dieses Akkordklassikers? Ein unakademischer Erklärungsversuch: Die große None, also die #9, kann enharmonisch umgedeutet werden in eine kleine Terz (b3). Zeitgleich ist in diesem Akkord auch eine große Terz (3) vorhanden. Diese Reibung von großer und kleiner Terz ist es, was den besonderen Reiz gibt. In E ergeben sich von unten nach oben folgende Töne:
e gis d fisis. Die #9, hier fisis, ist die einzige alterierte Note in diesem Akkord. Die anderen drei sind obligatorisch – e ist der Grundton, gis die große Terz und d die kleine Septime. Übrigens: Das fisis, das muß so. Echt jetzt. Wenn die 9 von e aus fis lautet, muß die #9 folglich fis-is heißen – nicht g! Das wäre zwar von der Tonhöhe korrekt, nicht aber von der Bezeichnung. Soviel Kleingeist muß sein, Herr Nachbar!
Genug getextet mit Theorie und so. Noch viel wichtiger: Er ist so herrlich bequem zu greifen und leicht zu merken. Mit adäquatem Sound und genügend Attitüde kann man mit nur einem Akkord in eine psychedelische Rauchschwadensphäre abdriften und dort vielleicht dem großen Jimi und der Foxy Lady begegnen. Dazu braucht man noch nicht mal was rauchen. Oder vielleicht doch? Möglicherweise werden die Farben dann noch bunter. Give it a try!