1200 Griffe … Teil 2

„Der Appetit kommt beim Essen“ – gewiß, das ist nicht der allerbeste Kalenderspruch, da hab ich schon bessere gehört, aber dennoch zutreffend. Um im Bild zu bleiben: Ich konnte hoffentlich mit meinem Blogpost über das Akkordunwesen – es muß wohl Ende August gewesen sein, also eine halbe Ewigkeit – den gitarristischen Appetit bei dem einen oder anderen etwas anregen, um sich wieder eingehender mit dieser sträflich vernachlässigten Disziplin zu beschäftigen.
Genau, ich schrieb „beschäftigen“, nicht auswändig lernen! Letzteres scheint mir das große Dilemma bei der Gitarre zu sein, das einem Fortkommen und wirklichen Verstehen der Gitarrenlogik im Weg steht.
Die Akkorde in den tiefen Lagen, also jene aus der Lagerfeuer-/Cowboysong-Abteilung, hat man schnell intus und nach kürzester Zeit kann man bereits ein paar Songs begleiten. Kann‘ ma soweit net meckern. Aber kein Mensch zeigt einem das „Innenleben“ der Griffbilder und wie man sie sich selbt zurechtzimmern und weiterspinnen kann. Ein lupenreiner C-Dur klappt noch, aber bei Cadd9 wird es schon eng und bei so Brüllern wie C13b9 oder Cmaj7#11  ist es aus und vorbei?

Ich schreibe ganz bewußt Griffbilder und nicht Akkorde. Letzteres klingt schon wieder so unsexy, nach viel lernen und nix verstehen. So wie der Musiklehrer seinerzeit was von Akkorden und Dreiklängen gefaselt hat und wir die immer aufmalen mußten. Jemand wie ich, der damals noch kein Instrument spielte, mußte Dreiklangsumkehrungen zeichnen. Oh Herr, schmeiß‘ Hirn vom Himmel! Hanebüchener Unsinn! Da kann ich genauso gut die Regeln für Hallenhalma lernen, braucht auch niemand.
Dieses Abschweifen muß ich noch in den Griff bekommen, …

So wie ich im letzten Blogbeitrag die Chords (das englische und deutlich attraktivere Substitut für „Akkorde“) durch Hinzufügen oder Weglassen eines Fingers in eine sprichwörtlich neue Form gebracht habe, schiebe ich jetzt die Dinger den Gitarrenhals entlang. Dies ist gegenüber dem Klavier definitiv der größte Vorteil der Gitarre: Durch bloßes Verschieben eines Griffbildes auf einen neuen Grundton hin erhält der Akkord einen neuen Namen, die optische Erscheinung, die Konstellation der Finger zueinander,  bleibt unverändert! Probiert das mal auf einem Klavier. Keine Chance! No way! Kurzer Schwenk in den fiktiven Proberaum: Die Tonart ist für den Sänger zu hoch und der Chartbreaker in spe soll passend transponiert werden, meinetwegen von sehr gitarrenfreundlich A-Dur auf ebenso gitarrenfreundlich, aber extrem klavierunfreundlich Fis-Dur.

Sieht dann so aus: Während ich lässig meinen A-Dur und auch die anhängende Gitarrenlogik galant um drei Bünde nach unten auf Fis-Dur verschiebe und mit der anderen Hand die Wochenendausgabe der Süddeutschen durchblättere, sortiert der Keyboarder noch seine schwarzen Tasten, wohlwissend, dass wir es bei Fis-Dur mit sechs Vorzeichen zu tun haben! Bloß, welche waren das nochmal? Noch Fragen? Was? Die Praxis? Ach so, ja, kommt gleich.
Beweise für die Gitarrenlogik-Huldigungen, das volle Programm: Ich werde abgesehen von C – der heißt ja schon C – die restlichen Griffformen A, G, E und D entsprechend verschieben, so dass der Grundton auf C zu liegen kommt und aus Ihnen auch ein C-Dur wird.
Der Grundton für A-Dur liegt auf der leeren A-Saite. Um auf C zu kommen, ist ein Verschieben über drei Bünde erforderlich. Die Strecke A – C, im Fachjargon eine kleine Terz, entspricht auf der Gitarre einem Abstand von drei Bünden. Ergebnis ist folgendes Griffbild:

 

C-Dur, dritte Lage

C-Dur, dritte Lage

 

Bei diesem und allen nachfolgenden Griffbildern stellt übrigens der eingekreiste Ton den Grundton und dessen Lage dar. Den G-Dur-Akkord zu verschieben, das muß ich zugeben, fühlt sich auch für mich sperrig an, zumal der resultierende Barré-Akkord alles andere als komfortabel zu greifen ist und in der gitarristischen Praxis so nicht vorkommt. Um der Griffbrettlogik und Vollständigkeit gerecht zu werden, führe ich ihn dennoch auf:

 

C-Dur, fünfte Lage

C-Dur, fünfte Lage

 

Das Verschieben des nächsten des E-Dur-Typs hat einen absoluten Klassiker zur Folge, das Griffbild für einen Barré-Akkord schlechthin, der Alptraum eines jeden Gitarrennovizen: „Wie soll das denn gehen? Wie soll ich meinen Zeigefinger da rüber bringen?“ In unserem Beispiel wird der E-Dur-Typ auf den achten Bund verschoben und mutiert damit zu C-Dur.

 

C-Dur, achte Lage

C-Dur, achte Lage

 

Bleibt noch der D-Typ zu verschieben – und zwar bis auf den zehnten Bund, dann wird ein C-Dur draus:

 

C-Dur, zehnte Lage

C-Dur, zehnte Lage

 

Ich fasle … äh, fasse  zusammen: Zusammen mit dem originären Cowboy-C-Dur haben wir durch Verschieben der restlichen Griffbilder A, G, E und D jeweils auf den Grundton C hin insgesamt fünf Griffbilder für C-Dur konstruiert. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo die Gitarre beginnt, interessant zu werden, denn mit der ganzen Rumschieberei haben wir fünf verschiedene Griffbilder an fünf verschiedenen Positionen für C-Dur erzeugt und das Griffbrett fläckendeckend „ver-c-durt“. Ab sofort gibt es keine Entschuldigungen mehr für nicht präsente Akkordalternativen: „Ich kenn‘ nur diesen einen C-Dur – wo soll’n da noch einer sein?“.

 

 

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